Die Geschichte von den fermentierten polnischen Gurken - Kiszone Ogórki

Schon lange will ich selber Lebensmittel fermentierten, habe es bisher jedoch noch nicht geschafft. Manches Mal braucht man einen Tritt, ähm, die richtige Begegnung und auf einmal geht es.

Mitte Juni waren wir zu einer Pott Luck Party im Rahmen eines internationalen Vereines eingeladen. Dort lernten wir eine junge polnische Frau namens Kalina kennen und neben der Tatsache, dass wir im gleichen Verein sind, kam sie so wie wir aus Wolfenbüttel und zudem trainiert sie im gleichen Fitnessstudio wie ich.  Ich erzählte, dass ich morgens bereits kurz nach sechs Uhr dort sei. Wie bei den Meisten war ihre Reaktion: Oh je, so früh könne sie das nicht, Sie gehe etwas später am Morgen, gegen 9 Uhr.

Eine Woche später bringe ich am Freitag morgen meine Frau zum Flughafen, sie besuchte für zweieinhalb Wochen ihren Bruder in Spanien. Danach bin ich direkt ins Fitnessstudio gegangen und als ich fast fertig war mit Turnen, kam unsere neue polnische Freundin zu ihrem Training. Wir begrüßten und unterhielten uns und sie lud mich spontan zu einer kleinen Feier am Abend ein, mit dem Hinweis, dass überwiegend polnische Freunde da sein würden. Ich nahm dankend an, erwähnte dass ich unter Umständen später oder gar nicht komme, da ich eine Lesung und eine Ausstellung am Wochenende vorbereiten müsse.

Als ich am frühen Abend mit meinen Vorbereitungen soweit fertig war, entschied ich mich, der Einladung zu folgen, schnappte mein Rad und fuhr zur polnischen Feier. Es standen einige der Gäste und die Gastgeberin am Garten. Ich rief allen ein „Hallo, guten Abend!“ entgegen und fragte mit einem Lächeln, ob ich mein Fahrrad hier sicher stehen lassen könne? Ich glaube, sie mochten mich auf Anhieb.

Die Gäste und auch die Gastgeber hießen mich sehr herzlich willkommen, und nachdem ich alle begrüßt hatte zeigte mir Kalina das sehr schön anzusehende Buffet. Sie erklärte mir, dass es alles polnische Gerichte und von allen selbst zubereitet seien. Mein Blick blieb an den Gurken hängen und ich fragte:

"Die sind die fermentiert, oder?"

„Ja“, antwortete sie, „ich habe jedoch noch keinen Deutschen kennen gelernt, der die mag".

Ich wusste sofort, ich würde der erste sein. Ich hatte ab und zu in Salzlake eingelegte und fermentierte Gurken gekauft und mochte sie außerordentlich gerne. Ein Glas davon war jedoch relativ teuer und ich hatte mich schon länger mit dem Gedanken getragen, selber Gemüse zu fermentieren.  Insbesondere auch da das Gemüse dann durch das Fermentieren die guten Milchsäurebakterien enthält.

Ich fragte: „Hast du die selber gemacht?“.

„Ja“, sagte sie, „lass mich später wissen, ob sie dir schmecken.“

Von dem Buffet habe ich das Meiste probiert und auch eine Wurst am Stock über offenem Feuer gegrillt. Mein Favorit an diesem Abend blieben jedoch die fermentierten, salzigen Gurken.

 Neben dem Genuss der für mich neuen kulinarischen Besonderheiten habe ich mich mit einigen der Gäste, die ich bis dahin nicht kannte, ganz wunderbar unterhalten. Wir haben viel über Kultur und meinen Lieblings Radiosender, ein Kultursender, gesprochen. Als mein sehr netter Gesprächspartner meinte, er sei Radiologe, sagte ich zu ihm: „Jetzt verstehe ich, warum du dich mit gutem Radio auskennst“. Es war eine tolle, internationale Gesellschaft und ich bin wesentlich länger geblieben, als geplant.

Einige Wochen später, nachdem sich die polnischen Gurken immer mal wieder in meinem Gedächtnis meldeten, schrieb ich Kalina an und bat um das Rezept der Gurken.

Sie schickte es mir als E-Mail und diese E-Mail las sich so schön, deutsch mit polnischem Akzent, liebevoll beschrieben, wie Kalina die Gurken einlegt. So beschrieb sie unter anderem dass sie für die Salzlake Steinsalz aus Polen verwende und davon immer einen großen Vorrat aus Polen mitbringe. Sie gebe ein Glas davon an der Rezeption im Fitnessstudio für mich ab. An dieser Stelle musste ich herzhaft loslachen, weil ich mir vorstellte, was die im Fitnessstudio denken würden, dass da jemand Salz für jemand anderes zum Mitnehmen abgibt.

Im Anschluss an die Beschreibung enthielt die E-Mail auch links zu drei You-Tube Videos über das Einlegen von Gurken. Die wollte ich mir später ansehen.

Als erstes besorgte ich mir ein Glas, dass mir geeignet schien und kaufte auch die Zutaten: Gurken und Dill. Den Rest hatte ich zu Hause. Bevor ich anfing, dachte ich es mache Sinn mir die Gurkenvideos anzusehen. Ich startete das Erste. Eine hübsche junge Frau erklärte mir auf Polnisch, wie sie Gurken einlegt. Das was ich sehe ist erklärend genug, ich beginne jedoch polnisch zu verstehen: ogórki hier, ogórki da und ogórki so.

Spektakuläre Aufnahme der Einlegegurken

Okay, mal sehen, ob ich im zweiten Video mehr verstehe. Eine noch hübschere polnische Frau erklärt mir ihre Variante der ogórki, die der ersten ähnelt. Der Kameramann filmt nicht immer nur die Gurken, sondern bleibt gelegentlich einmal im Dekolleté der jungen Frau hängen. Normalerweise würd mir das ja vielleicht gefallen, aber man, film die Gurken – ich will sehen, wie das geht!

Im dritten Video steht ein älterer Herr mit Strohhut auf einem Feld und erklärt etwas, ich spule vor, nun steht er in einer Küche und erklärt weiter, alles auf polnisch – okay, schaue ich später mal komplett an.

Alles was man braucht für die salzigen ogórki, vorne rechts:Steinsalz vom Fitnesstudio

Um doch noch etwas von den Erklärungen zu verstehen suche ich ein Video auf Deutsch und finde: „Gurken milchsauer einlegen mit voller Anleitung.“ Das klingt gut und ich starte das Video. Eine Dame ende fünfzig begrüßt mich mit:

„Hallo liebe Freunde, willkommen in meine Kalinkas Küche.“

Gurken salzig einlegen scheint eine Kunst zu sein, die überwiegend von Ländern des Ostens beherrscht und weitergegeben wird. Ich höre Kalinka zu, die mir mit dieser, wie ich finde typisch liebevollen Art und mit russischem Akzent die Geheimnisse ihrer Gurken erklärt. Suchen sie nach „Gurken milchsauer einlegen Kalinka“ und sie werden sie finden.

Am Ende halte ich mich stark an die Anweisungen unserer polnischen Freundin und kann die Erfahrungen von Kalinka einfließen lassen. Das Einlegen selber macht Spaß, wie Kochen generell, und ich bin so stolz auf meine ogórki das ich die beiden Gläser fotografiere und sie in meinen WhatsApp Status poste. Das scheint ein Thema zu sein, das meine Kontakte interessant finden. 29 von ihnen schauen sich meine Gurken an, einige senden mir Kommentare, finde ich prima.

Meine ogòrki vom WhatsApp Status

Testweise habe ich die Geschichte meiner ogórki in einer Gesprächspause beim Mittagessen mit sieben Kollegen erzählt, sie fühlten sich offensichtlich sehr gut unterhalten und lachten viel.

 Nach vier Tagen stelle ich die Gurken in den Kühlschrank, mache ein Selfie davon für den WhatsApp Status. Im Kühlschrank wird der Fermentationsprozess gestoppt. Zwei Tage später probiere ich die Gurken. Sie schmecken leider nur leicht salzig und etwas zu sehr nach Knoblauch, sie könnten noch etwas weicher sein, etwas salziger und insgesamt ein wenig mehr Geschmack haben. Vielleicht war ich im zweiten Video doch zu sehr abgelenkt. Werde weiter experimentieren.

 

In dieser Geschichte geht es vorwiegend um Gurken. Was mich jedoch viel mehr fasziniert sind jedoch die Begegnungen, der offene Austausch und wie das unser Leben bereichern kann.

Viva ogórki!

 Kalinka's Video: https://www.youtube.com/watch?v=gsmqcn1ZLtU

 

©️ Michael Wiegand